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HOMESTORY
eine Ballettschule und hat schon wesent-
lich bessere Zeiten gesehen. Davon erzäh-
len prächtige Schnitzereien und einKamin,
der sich beinahe schüchtern hinter pom-
pösen, tempelartigen Marmorsäulen und
einem opulenten Fries versteckt. Steiner-
ne Putten scheinen das Geschehen im Saal
zu beobachten. Heute langweilen sie sich.
Es sind Schulferien, die Ballettstunden fal-
len aus.
Auf dem grossen Fenster an der Stirn-
seite iegen Bleiglas-Fledermäuse auf und
steuern ihren Teil zur Exzentrik des Saa-
les bei. An der Wand gegenüber, breit ein-
gerahmt von kunstvoll geschnitztem und
gedrechseltem Holz ist – nichts! Unwill-
kürlich fragt man sich, wessen Porträt wohl
einst hier gehangen hat und was damit ge-
schah. In den Fünfzigerjahren, erzählt Clif-
ford Lilley, habe es einigen Bewohnern der
Villa dem Vernehmen nach an Respekt vor
dem Interieur gefehlt und diese hätten ver-
schwinden lassen, was sich demontieren
liess.
“Diese Tür führt zu einem Wintergar-
ten, der aber nur als Abstellraum genutzt
wird”, erzählt Cliªord Lilley gerade. “Das
macht mich verrückt. Aber es ist ja nicht
mein Haus. Ich lebe hier nur, weil die Stadt
es mir erlaubt.” Seit mehr als
35
Jahren ist
er in der Villa Egli zu Hause. In einer Art
WG
, mit acht weiteren Bewohnern. Stets
temporär, denn die Besitzerin, die Stadt
Zürich, ist auf der Suche nach einem Käu-
fer für das denkmalgeschützte Haus am
See. “Sie reparieren, was kaputtgeht. Sonst
wissen sie aber nicht, was sie mit diesem
Haus – sie nennen es Objekt – machen sol-
len. Für uns Bewohner ist das gut.” Pläne
für eine andere Nutzung gab es immer wie-
der. Das chinesische Konsulat wollte ein-
ziehen. Die Leute im Quartier stellten sich
quer. Ein Boutiquehotel sollte entstehen.
Daraus wurde aus Kostengründen nichts.
Zurück im Treppenhaus, gähnen dem
Besucher wieder leere Rahmen entgegen,
durch die nichts als nacktes Mauerwerk
zu sehen ist. Die herrschaftliche Treppe
führt in den ersten Stock. Von dort führt
eine steilere, schmale Treppe zur Etage,
wo Cliªord sein “grünes Zimmer” hat, aus
dem klassische Musik und der betörende
Duft von Lilien dringen. “Sind die nicht
herrlich? Die hat Susannemir heutemitge-
geben.” Jeden Freitag kauft Cliªord nicht
weit von der Villa, im Blumengeschäft von
Susanne Wismer, frische Blumen für die-
sen Raum. “Es ist kostspielig, das Geld
aber absolut wert. Man würde es ja auch
sonst irgendwie ausgeben. Für Schmuck
oder Antiquitäten… Ich gebe das Geld für
Blumen aus.”
Heute steht neben demsilbern gerahm-
ten Bild seiner Mutter ein grosser Strauss
weisser Lilien undOrchideen. Sie scheinen
mit den dunkelgrünen Ranken und den
dicken, hellgrünen Rosen der Blumenta-
pete zu wetteifern, der das grüne Zimmer
seinen Namen verdankt. Sie läuft über
sämtliche Wände und die Türen der Ein-
bauschränke. Nur Fenster und Tür des klei-
nen Balkons bleiben blütenfrei.